1797 Augustin Fangé Buch "Geschichte des männlichen Barts unter allen Völkern der Erde bis auf die neueste Zeit (Für Freunde der Sitten und Völkerkunde)"/Vorrede des Originals

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Schon lange sind Sitten und Gebräuche ein ergiebiger Gegenstand der schriftstellerischen Aufmerksamkeit, und es ist nicht erst seit heute, dass man über die Unbeständigkeit und Veränderlichkeit der Mode schreibt. Nicht nur Schriftsteller, die für das Vergnügen des Publikums arbeiten; auch die ernstesten und scharfsinnigsten Denker haben sich mit dieser interessanten Materie beschäftigt. Mehrere haben sie von einer ernsten Seite betrachtet, haben ihren Ursachen nachgeforscht, haben mehrere Motiven dazu in der menschlichen Natur entdeckt. Das Studium der Verhältnisse der Vorzeit, diese wichtige Beschäftigung, welche das Auge des unwissenden Leichtsinns so lange nur auf mühsame Untersuchungen und unnütze Entdeckungen führte, ist jetzt, Dank sey es den glücklichen Bemühungen der Gelehrten, die es fruchtbar gemacht haben, der Art von Verachtung enthoben, zu welcher es durch die Lächerlichkeit, die darauf haftete, für immer verdammt zu seyn schien. Die Unterstützung, welche Geschichte und Philosophie in den Werken der Alterthumsforscher fand, klärte die Geister über diese Art Kenntnisse auf, gegen die man vorher eingenommen war, und ohne die es doch keinen gründlichen Geschichtschreiber, keinen tiefen Literator und wahren Philosophen gibt.

Der grösste Theil der Dinge, die der oberflächliche Blick für geringfügig hält, erscheint dem tiefer eindringenden Beobachter als ein Gegenstand, der eine sorgfältigere Bearbeitung verdient, und er hält sie der Einzeichnung in die Tagebücher einer besondern Gattung von Geschichte werth. Sammlungen der Art haben vor dem grössten Theil gelehrter und literärischer Produkte, und selbst vor der allgemeinen Geschichte den Vortheil voraus, dass sie allgemein gefallen und allen Arten Lesern nützlich werden können. Sie entwickeln die Gegenstände genauer; sie können, ohne sich zu erniedrigen, bis zu Details herabsteigen, welche die allgemeine Geschichte vorbey zu gehen sich genöthigt sieht. Die Mannigfaltigkeit der gewählten, fast immer interessanten Züge gefällt dem müssigen Leser, der sich nur spielend und durch den reiz des Vergnügens zu unterrichten sucht; während dass dieselben Thatsachen den denkenden Leser aufklären, der oft zu sehr beschäftigt, um die Annalen der Nation zu durchwühlen, gleichwohl ihre Sitten, ihre Charakter und Gebräuche kennen zu lernen wünscht. Vorzüglich um dieser letztern Klasse von Lesern zu gefallen, haben wir gegenwärtigen Versuch der Geschichte des männlichen Barts gemacht.

Man glaubt wohl, der von uns gewählte Gegenstand sey von zu wenig Gewicht, als dass man ihm eine so lange Abhandlung, und mehr als einige Stunde zur Lektüre widmen dürfe. Aber wenn man bemerkt, dass alles, was die Geschichte des menschlichen Geschlechts aufzuklären dient, unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss, und unser Nachdenken darüber rechtfertigt: wie viel Ausdrücke, Anspielungen, Vergleichungen, Phrasen, die man nicht verstehen kann, wenn man nicht einige Lektüre in den Alterthümern, den Sitten und Gebräuchen unserer Vorfahren hat, gibt es da, zumahl bey Schriftstellern aus dem Mittelalter nicht! Auch könnte es ja der Fall seyn, dass diese Materien Gegenstand unserer Unterhaltung im gesellschaftlichen Umgang würden? Wir würden uns aber selbst schämen, wenn wir uns genöthigt sähen, ein dumpfes Stillschweigen zu beobachten, und wenn wir für stupid gehalten würden, weil wir nicht über Dinge unterrichtet wären, deren Kenntniss so leicht zu erlangen steht.

Viel Gebräuche, die uns jetzt bisarr scheinen, sind jedoch an und für sich selbst nichts weniger, als lächerlich; und wenn wir sie so finden, so ist diess nur der Fall, weil wir sie mit den Unsrigen vergleichen, weil wir die Zeit ihrer Entwickelung, die Gründe und Umstände, die zu ihrer Entstehung Veranlassung gegeben haben, nicht wissen. Jedes Jahrhundert zeichnet sich von dem vorhergehenden durch seine Meynungen, seine Systeme, seine Art zu denken und zu sehen, durch Geschmack und Charakter der Menschen aus; ein Charakter, der mit der Zeit nicht nach dem, was die innern Triebfedern der menschlichen Natur betrifft, sondern nach der äussern Farbe sich ändert, welche unendlich verschieden seyn kann, und die man sich hüten muss, mit den wesentlichen Bestandtheilen des Charakters zu verwechseln. Aber wenn sich die Sitten ändern, wenn sich eine Menge neuer Verhältnisse hervor thut, so würde es sehr bisarr und sonderbar lassen, wenn man die alten Manieren und Moden seiner Väter noch aushängen wollte. Wir müssen uns deshalb, wenn wir über unsere Vorfahren richtig urtheilen wollen, in die Zeit, worin sie lebten, zu versetzen, sich in ihre Verhältnisse gleichsam hinüber zu empfinden suchen, um zu finden, dass wir oft selbst so, wie sie, würden geurtheilt und gedacht haben, wenn wir unter ihnen gelebt hätten.

Wäre es in der That nicht ungerecht, wenn man die Sitten und Gebräuche der Vorwelt als so viele lächerliche Seiten derselben ansähe, und nur die Unsrigen für weise und vernünftig hielt? Ein solches Urtheil würde wenigstens einen Schein von Wahrheit haben, wenn alle Nationen, wenigstens alle civilisirte Nationen in diesem Punkte übereinstimmten, dieselben Gebräuche beobachteten, dieselben Moden hätten. Aber wie so ganz anders verhält sich diess nicht! Ohne unser Europa zu verlassen, welch' eine Verschiedenheit in Gebräuchen, Sitten und Moden bermerkt man da nicht bey Deutschen, Franzosen, Italiänern, Spaniern, Engländern und den Völkern des Norden! Gleichwohl hält eine jede von diesen Nationen ihre Gebräuche für sehr vernünftig, und findet gar nichts lächerliches an denen, die sie bey ihren Nachbarn herrschen sieht. So wahr ist es, dass sich jede Nation privilegirt; dass sie allein in ihrer Art sich zu kleiden, zu meubliren, im Kreis ihre Privatlebens und in ihrem öffentlichen Charakter Geschmack zu zeigen glaubt; aber diess Urtheil ist bloss Wirkung der Gewohnheit und des Vorurtheils. So erscheint uns z. B. die Form einer Tracht, die man anfänglich für bisarr und geschmacklos hielt, so bald das Auge daran gewöhnt ist, als natürlich und gut gewählt.

Welches ist also, wird man fragen, die Ursache dieser Bisarrerie in den Moden, die jederzeit fast bey allen Nationen geherrscht hat, die wir kennen? Diess ist eine Frage, deren Entschidung ich den Philosophen überlasse. Ich mache hier nur die allgemeine Bemerkung, dass die Existenz der Moden aus der Nothwendigkeit die unmittelbarsten Bedürfnisse der menschlichen Natur zu befriedigen und dem Triebe zur Verschönerung der Gegenstände seines Daseyns entspricht, der sich bey verschiedenen Individuen, Nationen und Zeitaltern nur anders modificirt. Aber auch noch einige andere Ursachen lassen sich von den Revolutionen, welche die Moden ehemahls erlitten haben, und sie sie so oft noch erleiden, zur Beantwortung des sich hier darbietenden Problems angeben. Von dieser Art sind z. B. Klima, Gesetzgebung und Staatsverfassung, Erziehung, zuweilen Religion, Liebe zu grösserer Bequemlichkeit, ein rafinierter Geschmack, ein reizendes Aeussere, Eitelkeit, Neid, Stolz, sich vor andern durch ein neues Kleidungsstück, einen neuen Hausrath auszuzeichnen.

Man kann nicht in Abrede seyn, dass gewisse Moden ihren Ursprung der Phantasie einiger Individuen verdanken, die durch einen gewissen Anzug dasjenige ersetzen wollten, was ihnen an natürlciher Annehmlichkeit abging. Andere, die sich nicht so wie jene dabey interessirt fühlten, folgten gleichwohl ihrem Beyspeil, wenn es nicht gar zu auffallend gegen alle Vernunft verstiess. Oft hatte Schmeicheley daran viel Theil. Gesetzt, ein regierender Herr, ein Grosser gab einer gewissen Art sich zu kleiden, zu erscheinen, seinen Beyfall, affektirten einen gewissen geist, so ahmte ihm alles, was ihn umgab, um ihm zu gefallen, darin nach. Diese Nachahmung erstreckte sich soagr bis auf solche Moden, wodurch der erste Urheber derselben gewisse natürliche Fehler zu verbergen suchte.

Hierzu kommt, dass die Idee, und die Art zu denken, die bey dem grössten Theile der Menschen eines gewissen zeitalters, in Absicht dieser Gegenstände obwalteten, dazu beytragen mussten, gewissen Gebräuchen über andere den Vorzug zu verschaffen. So war, um uns nicht von unserm Gegenstande zu verirren, die Achtung, die man in den letzt vergangenen Jahrhunderten für den Bart hegte, und die ihn als das natürliche Zeichen der Weisheit, der Reife des Geistes und als das glückliche Erbtheil ansehen liess, welches den Mann von dem Weibe auf eine beyden Geschlechtern gleich ehrenvolle Art unterschied; diese ASchtung, sage ich, war viele Jahrhunderte hindurch Ursache, dass man es für einen grossen Schimpf ansah, wenn jemand seines grossen Barts beraubt wurde; und daher schrieb sich dann der sonderbare Glaube, dass man es für ein der Gottheit würdiges Geschenk hielt, wenn man ihr die Erstlinge seines Barts darbrachte.

Wäre es daher wohl unmöglich, dass man eine allgemeine Mode, eine gleichförmige Art sich zu kleiden, zu wohnen, sich zu grüssen und mit seines Gleichen zu leben, erfinden könnte; eine Mode, die für alle Nationen gleich leidend würde? Ein solches Unternehmen würde mit eben so viel Schwierigkeiten verknüpft sey, als sich bey dem Versuch, eine allgemeine Sprache zu erfinden, hervorgethan haben. Es lässt sich gar nicht in Abrede seyn; jede Nation ist von ihren Sitten und Gebräuchen eingenommen, und sieht auf Moden und Manieren anderer Nationen mit Verachtung herab. Die Mode legt eine Art von Nöthigung auf, der sich die weisesten Menschen unterwerfen müssen, wenn einmal eine Mode in Aufnahme kommt. Abweichung von der allgemeinen Norm in Sachen der Mode, ist, wie in jeder andern Sache tadelnswerth. Man würde sich selbst lächerlich machen, wenn man nicht das thät, was andere achtbare Menschen thun; man würde sich der Censur und dem Spott aussetzen, wenn man von der allgemeinen Bahn abwich.

Einige, nicht sowohl weise, als misanthropische Personen würden sich sehr zur Unzeit durch den Anblick solcher ihren Augen lächerlichen Sitten und Gebräuche empört gefühlt haben. Aber was könnte man bessers thun, als die Menschen beobachten, sie beklagen, ihre Bisarrerien belächeln, da man ja schon im voraus weiss, dass die Moden, die uns heut gefallen, und die wir allein als vernünftig ansehn, in funfzig Jahren vielleicht das Schicksal derer haben werden, die jetzt unsern Widerwillen erregen. Wer steht uns dafür, dass die Moden unserer Grossväter nicht aus ihrer Asche wieder zurück kehren werden? Die Launen der Menschen sind ein unerschöpflicher Quell von Geschmack und Fantasie. Was ihnen heut gefällt, muss sich morgen des Schicksals gewärtigen, ihnen unerträglich zu seyn. Der denkende Mann, den Lektüre, Weltumgang, ein gewisser Sinn, die Dinge richtig zu fassen, von der Wahrheit überführt haben, dass Mode nicht bloss auf unsere Kleider, sondern auch auf unsern Geist, unsern Geschmack, unsere Sitten, kurz auf unsern ganzen innern Menschen den unbestreitbarsten Einfluss behauptet, erstaunt über nichts. Alles ist für die Mehrheit der Menschen gut oder schlecht, je nachdem man sich in dieser oder jener Lage befindet, vor welcher der Mimus des Lebens spielt.